Soziale Teilhabe für Menschen mit Behinderung
Die Solidarität mit Menschen mit Behinderung ist Aufgabe und Verpflichtung. Die Änderung des Artikels 3 des Grundgesetzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ im Jahre 1994 und die Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) im Jahre 2002 waren nur erste Schritte zur vollständigen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Würzburg muss sich verpflichtend für die vollständige Umsetzung der bereits vor 10 Jahren von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention und des BGG engagieren. Alle angebotenen Hilfen haben dabei die Würde und das Recht auf Selbstbestimmung aller Betroffenen zu achten. Für DIE LINKE ist eine inklusive Sicht auf die Gesellschaft von großer Bedeutung um allen Menschen – ob mit oder ohne Behinderung – die soziale Teilhabe zu ermöglichen.
Situation in Würzburg
In Würzburg haben ca. 11 % der Bevölkerung den Behindertenstatus. Deshalb ist zu überprüfen, ob Gleichstellung, Teilhabe und Selbstbestimmung Wirklichkeit geworden sind. Viele Gebäude sind immer noch nicht für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer zugänglich und Blindenampeln sind nur punktuell installiert. Ein akustisches Signal ist nur an den wenigsten Bushaltestellen vorhanden, Blindenleitsysteme sind oft zugestellt oder defekt. Auf dem Heidingsfelder Rathausplatz wurden sie durch unzureichende, aber kostengünstige „Aufmerksamkeitspunkte“ ersetzt. Für Gehörlose und Schwerhörige fehlen durchgängig technische Vorrichtungen wie z.B. Induktionssysteme. Gebärdendolmetscher stehen allzu selten zur Verfügung. Personen, die aufgrund ihrer Behinderung von der Nutzung des ÖPNVs ausgeschlossen sind, muss persönlich angepasste Mobilität ermöglicht werden.
Die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen müssen dringend stärker in das kommunale Bewusstsein rücken und in die entsprechenden politischen Beteiligungsprozesse einfließen. Hierfür benötigt jede Kommune eine(n) Beauftragte(n) bzw. einen „Beirat für Menschen mit Behinderungen“ mit konkreten Rechten und Befugnissen, der die tatsächlichen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen thematisiert und bearbeitet. Der Beirat muss daher verpflichtend zu einem Großteil aus Menschen bestehen, die selbst eine Behinderung haben. Der jetzige Behindertenbeirat spiegelt das zahlenmäßige Verhältnis der verschiedenen Behindertengruppen in keinster Weise wieder! Der oder die von der Stadt ernannte Behindertenbeauftragte braucht ein Vetorecht bei allen Beschlüssen, die die Inklusion verhindern.
Behindertengerechtes Wohnen
Der Neubau (mindestens 30 % aller Bauten) und Aus- oder Umbau von alters- und behindertengerechten Wohnungen und betreutem Wohnen ist schnell voranzutreiben. Für die Förderung ambulanter Dienste und alternativer Wohnformen vor institutionellen Unterbringungen muss gelten: Ambulant statt stationär! Das Zwangspooling in stationären Einrichtungen muss verboten werden. Wir wollen eine kommunale Beratungs- und Zuweisungsstelle für barrierefreien Wohnraum und dessen Finanzierung, personell getrennt vom allgemeinen Wohnungsamt. Das Leben in den eigenen vier Wänden muss auch für Menschen mit Behinderungen selbstverständlich sein! Deshalb ist ein unabhängiger Experte, z.B. von der Bayerischen Architektenkammer, bei städtisch ausgeschriebenen Wohnungsbauprojekten zu berufen.
Inklusion in Schule und Beruf
Nur eine behindertengerechte Gemeinschaftsschule in allen kommunal betriebenen oder lizenzierten Schulen bzw. Schularten ist wirklich inklusiv. Auch bei Kindergärten ist so zu verfahren. Das dafür notwendige zusätzliche geschulte Personal ist von vornherein zu berücksichtigen. Die verbindliche Beschäftigungsquote von mindestens der gesetzlichen Vorgabe (6 %) von Menschen mit Behinderungen in der jeweiligen Firma ist bereits Pflicht. Ein Unternehmen, das dieses Kriterium nicht erfüllt, soll bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge von der Vergabe ausgeschlossen werden.
Ein dauerhaft sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für jede und jeden ist unser Ziel. Wer dabei Unterstützung braucht, soll sie erhalten. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in ihrer jetzigen Form sind unzureichend. Eine bessere Entlohnung und qualitativ verbesserte Rahmenbedingungen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind durchzusetzen. Für erwerbslose Menschen mit Behinderungen ist es wesentlich schwieriger, wieder in Lohn und Brot zu kommen. Also braucht das Jobcenter der Stadt Würzburg von der sonstigen Arbeit freigestelltes besonders sachkundiges Fachpersonal für die Vermittlung von Menschen mit bereits bestehenden oder drohenden Behinderungen.
Unser Ziel: Würzburg als barrierefreie Stadt
Beim kommunalen Neu-, Aus- und Umbau von Einrichtungen muss die Barrierefreiheit weitmöglichst vorausgesetzt werden. Die Gewährleistung von Barrierefreiheit im gesamten städtischen Raum sowie in allen öffentlichen Gebäuden ist sofort anzustreben. Bei der Genehmigung von Neu- und Umbauten privater Bauherren (z.B. Nahversorger) muss die Barrierefreiheit weitmöglichst vorgegeben werden. Wir fordern, dass es keine Neuanlage von Kopfsteinpflaster mehr gibt. Stattdessen soll die Verfugung von historischem Verbundpflaster stattfinden. Auf allen Plätzen müssen geeignete Leitbahnen von mindestens 1,80 m Breite angelegt werden, damit zwei Elektrorollstühle aneinander vorbeikommen.
Es gibt in Würzburg viel zu wenig öffentliche und noch weniger barrierefreie Toiletten. Sie sind schnellstmöglich zu errichten. Generell fordern wir die kostenlose Nutzung aller öffentlichen Toiletten. In Toiletten, die nicht kostenlos nutzbar sind, ist für behinderte Personen unter Vorlage des Schwerbehindertenausweises die kostenfreie Nutzung zu ermöglichen. Das Rathaus selbst muss barrierefrei werden! Dringend nötig sind Bodenmarkierungen von beiden Eingängen bis zum Bürgerbüro und das sofortige Anbringen von Markierungspunkten für sehbehinderte Personen zur Geschosskennzeichnung im Aufzug. Alle Formulare der Stadt Würzburg sollen auch in leichter oder einfacher Sprache erhältlich sein. Langfristig ist unser Ziel, dass Würzburg den Titel „barrierefreie Stadt“ erhält.
Integrative und inklusive Projekte unterstützen und ausbauen
Menschen mit Einschränkungen haben oft Probleme, auf normalem Weg am kulturellen Leben teilzuhaben. Deshalb ist es absolut zu befürworten, wenn Menschen sich in Projekten zusammenfinden, in denen man gemeinsam gesetzte Ziele erreichen möchte. Dies ist ein Gewinn für alle Menschen und für die Stadtgesellschaft. Die Stadt muss diesen Prozess wohlwollend begleiten und bei Problemen helfend zur Seite stehen, z.B. wenn es um Räumlichkeiten oder Beantragungen von Förderungen geht. Eine bedarfsorientierte kommunale Unterstützung von Sportvereinen, Freizeitgruppen und Kultureinrichtungen, die sich für Menschen mit Behinderungen öffnen, sowie selbstbestimmten Zusammenschlüssen von Menschen mit Behinderungen in diesen Bereichen muss schnellstmöglich in die Wege geleitet werden. Eine Genehmigung von kommunalen Fördergeldern für Veranstaltungen darf es nur dann geben, wenn diese die Leitlinien zur Barrierefreiheit erfüllen.
Menschen mit Behinderung im öffentlichen Personennahverkehr
Der ÖPNV muss von allen Menschen genutzt werden können. In den Bussen sind mindestens zwei Elektrorollstuhlplätze nötig, die nicht zwingend nebeneinander liegen müssen. Dies gilt erst recht für deren Einsatz im Schienenersatzverkehr oder beim Ausfall von Straßenbahnen. In Absprache mit der Bahn dürfen nur dafür geeignete Busse eingesetzt werden. Rampen und geeignete Rückhaltesysteme sind in allen Bussen einzurichten. Es ist auch darauf zu achten, dass die Öffnungsmöglichkeit für diese Rampen regelmäßig gereinigt wird. Denn bei Verschmutzung kommt es zur Verrostung und, wenn deshalb die Rampe nicht ausgeklappt werden kann, haben Menschen mit Rollstuhl oder Rollator wieder mal das Nachsehen. Menschen mit Behinderungen haben Vorrang vor Fahrrädern.
Fahrpläne in geeigneter Größe sind so niedrig aufzuhängen, dass sie auch von Rollstuhlfahrern, Kindern oder Kleinwüchsigen gelesen werden können. An von vielen Bussen und Straßenbahnen frequentierten Haltestellen, wie etwa am Hauptbahnhof oder in der Juliuspromenade, sind mindestens doppelt so viele witterungsgeschützte Sitzplätze als bisher zu schaffen. Die Busse sind grundsätzlich an allen Haltestellen abzusenken, auch ist so nahe wie möglich an die Gehsteigkante heranzufahren. Eine regelmäßige Schulung der Busfahrerinnen und Busfahrer für die Belange der Menschen mit Behinderung durch geeignete Stellen, etwa Integrationsamt oder Behindertenselbsthilfeorganisationen, ist gerade in Würzburg dringend nötig.